Fahrleitungsbruch im Hochgeschwindigkeitszug von Shanghai nach Chengdu

Unser heutiges Ziel: 2’078km mit dem Zug zurückzulegen. So lange ist nämlich die Zugsstrecke von Shanghai nach Chengdu und mit einem der Hochgeschwindigkeitszüge, die meistens mit etwas mehr als 300 km/h unterwegs sind, wird diese Distanz in knapp 15 h zurückgelegt. Zum Vergleich benötigt ein herkömlicher Zug für die selbe Strecke zwischen 31 und 37 Stunden. Es gibt lediglich zwei Hochgeschwindigkeitszüge pro Tag. Der Eine verlässt Shanghai um 06:09, der Andere um 06:38 – wir nehmen den früheren und da man den Reisenden aufgrund der Sicherheitschecks und den riesigen Bahnhofgebäuden empfiehlt etwa eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof zu sein, müssen wir bereits um 04:30 aufzustehen.

Es hat fast kein Verkehr auf den Strassen und das ist auch gut so. So müssen wir nur den diversen, unbeleuchteten Putzequipen die die Strassen von Hand auf Hochglanz bringen ausweichen. Unser Taxifahrer fährt sehr angenehm und so können wir diese Fahrt, die fast nur über Stadtautobahnen führt richtig geniessen, obwohl wir einfach dort fahren wo es gerade freien Platz hat. Anscheinend kommt es in China nicht darauf an auf welcher Seite man ein anderes Fahrzeug überholt. Unser Taxi überholt sowohl rechts wie auch links und stören tut es niemanden. Die Fahrt im Taxi dauert eine knappe halbe Stunde und kostet 54 Yuan (9.- Sfr).

Nach der Sicherheitskontrolle laufen wir durch die Bahnhofhalle, die eine Grundfläche von zwei bis drei Fussballfelder besitzt. Es ist wirklich gut, dass wir so früh sind, denn so bleibt uns immer noch genügend Zeit zum richtigen Gate zu laufen. Dort stehen bereits einige Reisende an. Wieso das verstehen wir auch nicht, denn die Sitzplätze sind ja reserviert und darum setzen wir uns auf die Bänke und warten bis wir auf den Perron gelassen werden. Ich versuche Kaffee zu kaufen und laufe kreuz und quer durch die riesengrosse Halle. Aber alle Restaurant die offen sind, bieten nur chinesisches Essen an und die Restaurants mit Kaffee machen erst um 06:30 auf – aber dann sitzen wir bereits im Zug.
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Blinkendes Kinderspielzeug wird den Reisenden sogar hier angeboten, doch interessieren tut es niemanden

Blinkendes Kinderspielzeug wird den Reisenden sogar hier angeboten, doch interessieren tut es niemanden


So gehen wir halt ohne Kaffee und Brötchen zu unserem Wagen und dort fällt uns ein riesiger Stein vom Herzen. Denn unser Zug ist nicht von der gleichen Bauart wie es der letzte war und so haben wir auch in der Sitzreihe 1 auf beiden Seiten ein Fenster und eine gute Sicht nach draussen….;-)

Es ist bereits hell als wir aus dem Bahnhof von Shanghai fahren. Die Kunstbauten, welche für diese Hochgeschwindigkeitszüge gebaut wurden sind enorm. Die Linien führen über riesige Brücken welche dafür sorgen, dass sich die Linien ausserhalb eines Bahnhofes nie kreuzen. Während hinter uns die Sonne langsam aufgeht fahren wir, bereits mit 250 km/h durch die Vororte Shanghais. Es wird erst ländlicher als wir den Jiangtse Jiang überquert haben und uns Hefei nähern.

Das Wetter ist den ganzen Morgen über gleich. Hochnebel liegt über dem flachen Land, das von vielen kleineren und grösseren Flüssen durchzogen ist. Wir fahren über eine riesige Brücke über den Jiangtse Jang. Wir lassen dann die grossen Städte hinter uns und kommen in hügeliges, man kann sogar sagen bergiges Gebiet. Hier scheint sogar die Sonne und das Laub der Bäume ist auch herbstlich gefärbt. Nun geht die Fahrt rasant durch lange Tunnels und hohe Brücken. An den Berghängen wird Tee angebaut, es hat viele Zitrusfruchtbäume und grosse Bambuswälder. Leider hält das schöne Wetter nur bis wir wieder auf der grossen Ebene von Wuhan sind. Dort sind wir wieder im Nebel und es fängt sogar an zu regnen.

Alles Brücken damit die Hochgeschwindigkeitszüge ohne Kreuzungen verkehren können

Alles Brücken damit die Hochgeschwindigkeitszüge ohne Kreuzungen verkehren können


Auch die Bahnhöfe unterwegs sind gigantisch

Auch die Bahnhöfe unterwegs sind gigantisch


Und überall schiessen neue Wohnblöcke zum Boden hinaus

Und überall schiessen neue Wohnblöcke zum Boden hinaus


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Wir befinden uns etwa auf der Höhe des Drei-Schluchten-Staudammes und denken nichts böses, als unser Zug an einem winzigen Bahnhof in den Bergen anhält. Auch das wir neben einem anderen Hochgeschwindigkeitszug befinden scheint normal zu sein, denn unsere Mitreisenden verhalten sich ganz normal. Alle 10 – 15 Minuten rauscht ein Hochgeschwindigkeitszug aus der Gegenrichtung an uns vorbei und jedes Mal denken wir – ok auf den haben wir nun gewartet. Aber als wir uns fast eine Stunde nicht weiterbewegt haben fangen wir uns doch langsam an zu fragen was hier genau vor sich geht. Zum Glück hat Rico Kontakt zu einem ca. 25 jährigen Chinesen aufgenommen. Zuerst haben sie zusammen Trickfilme auf dem Smartphone des Chinesen geschaut – auf Englisch. Später haben sie zusammen auf dem iPad diverse Spiele gespielt und sich dabei prächtig unterhalten obwohl sie keine gemeinsame Sprache haben. Wir versuchen ihn zu fragen was mit unserem Zug los ist. Da er nicht Englisch spricht sagt er etwas zu einem anderen chinesischen Mitreisenden, der anscheinend Englisch spricht und dieser teilt uns mit, dass in unserer Richtung die Fahrleitung defekt ist und das es darum bis auf weiteres nicht weiter geht. Und so kommt es, dass wir die nächsten drei Stunden an derselben Stelle stehen und hoffen, dass der Schaden bald behoben ist.

Es ist erstaunlich wie ruhig die Reisenden diesen Unterbruch nehmen. Sie höckeln einfach in ihren Sitzen und warten was passiert, resp. spielen oder telefonieren weiter auf ihren Smartphones. Zwischendurch stehen sie auf laufen durch den Wagen und reden mit anderen Mitreisenden. Ausserdem bieten sie sich gegenseitig immer wieder irgend welche Esswaren oder Süssigkeiten an. Auch wenn die Zugbegleiter durch den Wagen laufen gibt es keine lauten Worte und keine Diskussionen, man fügt sich einfach in sein Schicksal und sucht sich eine bequeme Sitzposition.
Als wir gegen 20:00 endlich weiterfahren werden im ganzen Zug Cup Noodles als Entschädigung für die Verspätung von den Zugbegleitern verteilt und diese werden mit grosser Freude entgegengenommen.

Unsere Fahrtunterbrechung hat doch Auswirkungen auf unsere Mitreisenden, denn nach dem Unterbruch erscheint es uns, dass die Chinesen noch viel mehr miteinander plaudern. Um uns herum bilden sich immer wieder andere Gruppen, die zum Teil lange, intensive Gespräche miteinander führen – und das alles in einer total friedlichen Art und Weise. Auch wenn ich durch den Zug laufe, höre ich niergends laute oder aufgeregte Worte. Die meisten Reisenden haben es sich einfach irgendwo gemütlich gemacht. Bei einer Familie hat sich der Vater mit der Tochter kurzerhand auf den Boden zwischen den Sitzen gelegt und ist dort am “pfüselen” während es sich seine Frau auf den drei Sitzen liegend bequem gemacht hat.

Zwischen Chonquin und Chengdu halten wir im Gegensatz zum bisherigen Fahrverlauf überhaupt nicht mehr an und erreichen Chengdu kurz nach 01:30, also mit etwas mehr als 4 Stunden Verspätung. Der auch hier riesige Bahnhof wirkt richtig gespenstisch. Er ist bis auf unseren Zug völlig leer. So liegen die dutzenden von Perrons menschenleer im schwachen Licht einzelner noch brennender Lampen. Mit einem unserer Sitznachbaren aus dem Zug laufen wir auf der Suche nach einem Taxi zuerst in die falsche Richtung, drehen dann wieder um und laufen nun gegen den Menschenstrom, der sich aus unserem Zug ergiest, zurück zu den ebenfalls riesigen Taxiplattformen – und unsere beiden, völlig übermüdeten Kleinen machen alles ohne Murren mit! Auf diesem Irrweg durch den Bahnhof werden wir diverse Male von Leuten angesprochen, die uns ein Taxi anbieten. Aber unsere chinesische Begleitung schüttelt nur den Kopf und meint in seinem gebrochenen Englisch, dass es sich hier nicht um gute Menschen handelt, lässt alle links liegen, läuft zielstrebig den Taxi-Wegweisern nach und wir brav hinterher. Es erstaunt uns sehr, dass wir um diese Zeit überhaupt noch Taxis vorfinden, denn eigentlich fährt kein Zug mehr von diesem Bahnhof. Aber in der grossen, dunklen und vor allem nach Abgasen stinkenden Halle stehen ein paar dutzend alte, grün-gelbe Taxis parat und wir sind froh in eines davon einsteigen zu können.

Nun geht es mit dem altersschwachen Taxi und seinem kleinen chinesischen Fahrer kreuz und quer durch das nächtliche Chengdu. Die dicken Eisenstangen welche den vorderen Sitzbereich vom hinteren abtrennen sowie die vielen, schwerbewaffneten Polizeikontrollen auf den Strassen heben unser Sicherheitsgefühl nicht wesentlich. Die Dunkelheit und die nassen Strassen runden dieses etwas depressives Bild ab und so kann man sagen, dass wir uns bei unserer Ankunft noch nicht so richtig wohl fühlen in Chengdu.
Auf MapsMe verfolgen wir unsere Zick-Zack-Fahrt. Es ist erstaunlich wie der Fahrer auf den ersten Blick völlig ziellos herumfährt, er es aber schafft einen direkten Weg zu unserem Ziel, dem Holly’s Hostel, zu finden. Erst kurz bevor wir das Hotel erreichen bittet der Fahrer mich ihm mein Natel zu zeigen, damit er sieht wo genau sich unser Hostel befindet. Leider ist auch auf die moderne Technik nicht immer Verlass und so müssen wir zweimal auf einer grossen Strasse eine 180 Grad Kehr machen und hin und herfahren, denn das Hostel ist in unserer App leider etwas falsch eingezeichnet.
Endlich fahren wir durch das grosse tibetische Tor in eine kleine Quartierstrasse wo sich das Holly’s Hostel – welches uns von Freunden wärmstens empfohlen wurde – befindet. Genau vor dem Eingang des Hostels steht ein Lastwagen mit viel Bauabfall. Dies und der Umstand, dass diverse Arbeiter um diese Zeit (02:30 AM) dran sind weiteren Bauschutt aus dem Hostel zu tragen erstaunt uns ein wenig. An der Reception angekommen, entschuldigt man sich bei uns als erstes und meint, dass wir nur zwei Nächte hier sein könnten, sagt uns aber nicht warum. Uns ist alles egal, denn wir sind seit über 22 h auf den Beinen und einfach todmüde und wollen einfach nur noch ins Bett. Darum bezahlen wir für eine Nacht und gehen in unser grosses, geschmackvoll eingerichtetes, tibetische Zimmer und fallen in die beiden Betten.

Es muss Baulärm sein, der unser Aufstehen gegen 10:30 musikalisch begleitet. Ist uns egal wir haben Hunger. Darum machen wir uns auf den Wegherauszufinden wo sich das Restaurant des Hostels befindet und freuen uns schon auf ein richtiges Traveller-Frühstück mit Speck, Rührei und Bananen-Pancakes. Auf unserem Weg treffen wir schon wieder auf Bauarbeiter, die uns mit Sandsäcken oder Abbruchwerkzeugen entgegen kommen. Liegen auf unserem Stockwerk nur Matrazen aufeinander gestappelt im Gang, so sieht es dort wo sich das Restaurant befinden sollte ganz anders aus, denn das Restaurant ist bereits komplett abgebrochen, von der Küche sieht man nur noch die Wände und ein Teil des Hostels kann nur noch als Baustelle bezeichnet werden. Auf unserem Rückweg ins Zimmer stellen wir fest, dass bereits in unserem Nachbarzimmer alles herausgerissen wurde. Überhaupt scheint es, dass wir die einzigen Gäste im ganzen Hostel sind.
Schnell haben wir alle unsere Sachen gepackt und stehen unten an der Reception. Dort entschuldigt man sich und versichert uns, dass sie uns bei der Suche nach einer neuen Bleibe helfen. Auf unsere Frage wieso man uns diese nicht in dem letzten Mail vor einer Woche mitgeteilt habe, dass das Hostel umgebaut wird antwortet man uns, dass man es erst seit 2 Tagen wisse, dass das Hostel umgebaut wird und darum habe man uns nicht rechtzeitig informieren können….;-)

Matrazen auf den Gängen

Matrazen auf den Gängen


Erster Bauschutt auf dem Weg zum Restaurant

Erster Bauschutt auf dem Weg zum Restaurant


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Es gibt definitiv gemütlichere Plätze für ein Frühstück

Es gibt definitiv gemütlichere Plätze für ein Frühstück

Mit einem Privatauto mit Chauffeur im Anzug werden wir auf Kosten des Holly’s Hostels zu einem knapp 5 km entfernten Hostel gefahren. Diese Fahrt dauert fast 45 Minuten. Überalll stehen wir im Stau. Und wenn wir nicht im Stau sind, dann bekommen wir den Irrsinn des chinesischen Fahrstiles nun in der vordersten Reihe sitzend mit. Mit unserer schicken, schwarz glänzenden Limusine mit fast schwarz getönten Scheiben bahnen wir unseren Weg durch Chengdu. Immer wieder stehen wir zu zweit an Orten an welchen gemäss den physikalischen Grundgesetzen eigentlich nur ein Fahrzeug platz hat. Und das es sich beim zweiten Fahrzeug oft um ein viel grösseres handelt und sich dieses meist nur ein paar Zentimeter neben uns befindet hebt unsere Moral auch nicht besonders. Aber irgendwann sind wir am Ziel und wir können erleichtert aussteigen.

Unser neue Unterkunft das Lazy Hostel ist eigentlich ein Teehouse mit Guesthouse. Der kleine, ruhige Innenhof und die geschmackvollen Abteile in denen man Tee trinken kann erinnern uns stark an Japan. Unser Zimmer ist riesig, hat zwei Doppelbetten und eine Glasfront, welche sich über 75% der Wände hinzieht. Hinter dieser Glasfront, nur etwa 5 Meter entfernt ziehen sich bereits die nächsten chinesischen Wohnblöcke mit den kleinen, vergitterten Balkone in die Höhe und so können wir aktiv am Leben der hiesigen Bevölkerung teilnehmen – und vice versa – wir fühlen uns sofort wohl hier.
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Ein Kommentar zu “Fahrleitungsbruch im Hochgeschwindigkeitszug von Shanghai nach Chengdu

  1. Markus

    Ciao Weltenbummler

    Abenteuerlich! Aber dann hat das ja mit dem Ersatz-Hostel doch noch ein gutes Ende gefunden! Sieht ganz wirtlich aus.
    Vielleicht entspricht Euer Aufenthalt ja dem Namen des Hostels für 2, 3 Tage?

    Weiterhin viel Erfolg beim Bewältigen und Geniessen von fremdländischen Gepflogenheiten und Ueberraschungen 🙂

    Liebe Grüsse und weiter so!
    der Stäfner (in Anlehnung an einen anderen berühmten Kommentar-Verfasser 😉

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