Los geht’s – von Lohnstorf nach Moskau mit dem Zug

Wie aus Watte sehen die Nebelfetzen aus, welche sich in der Nacht über das “Moos” gelegt haben. Die Sonnentrahlen, welche ihren Weg durch die Wolken am Himmel finden, tauchen die Umgebung in weiches, goldenes Licht. Es scheint, als ob sich unsser Zuhause zu unserem Abschied von der schönsten Seite präsentieren will um sicher zu sein, dass wir den Rückweg wieder finden…;-)

Kaum haben wir es uns im Zug bequem gemacht, da geraten wir auch schon in unsere erste Billettkontrolle. Die Kontrolleurin begutachtet unsere Billette (Thurnen – Breclav) und meint, dass wir in Bern umsteigen müssten – nach einem kurzen Zögern fügt sie mit einem Lächeln hinzu, dass wir das wahrscheinlich besser wüsstn als sie….

Mit dem “Gürbeschnägg” nach Bern. Mit dem IC weiter nach Zürich und dann steigen wir in den Railjet nach Wien um. Auf die Fahrt mit diesem eleganten, weinroten Zug hat sich Rico schon lange gefreut. Der Railjet ist seht gut besetzt und wir sind froh, dass wir reservierte Plätze haben. Vor allem, dass wir ein Vierer-Abteil mit Tisch haben ist praktisch, denn so können wir all unser Material ganz nach Lust und Laune ausbreiten.
Das wir noch nicht lange am Reisen sind, merkt man daran, dass wir kaum 10 Minuten ruhig sitzen können am Stück, denn kaum haben wir es uns wieder bequem gemacht, merkt eines der Kinder, dass er oder sie doch noch etwas unbedingt braucht und dass sich das natürlich noch in irgendeinem Rucksack befindet.

In der letzten Woche vor unserer Abfahrt hat uns das aktuelle Flüchtlingsproblem an der europäischen Ostgrenze ganz besonders interessiert. Spezell die Situation an den beiden Wiener Bahnhöfen – West- und Hauptbahnhof – ist für uns von grossem Interesse, haben wir doch nur etwa drei Stunden Aufenthalt in Wien. Am Telefon hat uns der ÖBB-Kundendienst aber versichert, dass man die Situation im Griff habe und das wir ohne Probleme über Wien reisen können.
Auf unserer heutigen Fahrt bekommen wir vom Flüchtlingsproblem eigentlich nicht viel mit. Zwar beobachten wir bereits in Buchs Grenzschutzeinheiten am Bahnhof, aber das ist auch schon alles. Erst kurz vor Salzburg, genauer in Freilassing sehen wir Personen auf den Perrons, welche für den Empfang von Flüchtlingen vorbereitet sind. Aber Flüchtlinge selber sehen wir auch hier nicht.
Es ist auch so, dass die RailJets von Zürich nach Wien erst seit zwei Tagen wieder über das Deutsche Eck fahren. Das bedeutet, dass wir ohne Verspätung in Wien ankommen sollten Man musste die Züge in den letzten Tagen über Kufstein umleiten, da viele Flüchtlinge den Schienen entlang von Wien in Richtung Deutschland marschiert sind um nach Deutschland zu gelangen und da wäre es zu gefährlich gewesen, wenn die Schnellzüge weiterhin über diese Strecken gefahren wären.

Und wirklich, pünktlich kam unser Zug in Wien an. Am Wiener Westbahnhof sehen wir dann die ersten Flüchtlinge. Aufgrund der Berichterstattung der Medien bei uns hatten wir uns die Situation aber ganz anders vorgestellt. Hatten wir Bilder von sich drängelnden Menschenmassen auf den Perrons im Kopf, so sahen wir auf den Perrons nur wenige Menschen und diese machen einen sehr friedlichen und geordneten Eindruck. Auch später am Wiener Hauptbahnhof, an welchem wir unseren Zug verlassen ist die Situation völlig unter Kontrolle und vor allem sehr friedlich. Kaum sind wir zum Zug ausgestiegen, da befinden wir uns plötzlich Mitten in einer grossen Ansammlung von Flüchtlingen. Viele freiwillige Helfer sind zu sehen, Zelte vom Roten Kreuz und provisorische Waschgelegenheiten und Gassenküchen stehen zur Verfügung und werden rege benutzt. Während sich die meisten Flüchtlinge in einem mit Klebestreifen am Boden markierten Bereich von ca. 3m von den Wänden aufhalten und dort schlafen, essen, spielen oder einfach miteinander diskutieren, herrscht in den Gängen ein reges Treiben. Überall stehen kleine Gruppen von Menschen und diskutieren lebhaft miteinander. Dazwischen patrollieren Polizeiteams, freiwillige Helfer und das Personal vom Roten Kreuz.
Wir bahnen uns unseren Weg durch die Flüchtlinge, deponieren unser Gepäck und machen uns auf die erfolgreiche Suche nach einem gemütlichen, wiener Restaurant. Und man sollte es nicht glauben, wir finden ein gemütliches Restaurant wo man uns sogar noch nach 20:00Uhr (anscheinend isst man in Wien nicht so spät sein Nachtessen) köstliche Wiener Schnitzel zubereitet.

Pünktlich und sehr müde stehen wir auf dem Perron, da fährt auch schon der Nachtzug nach Warschau ein. Kaum sind wir in unserem Vierer-Abteil, welches bereits mit vier Liegen bereit gemacht ist, angekommen werden die Betten zugewiesen, die Kleinen nach unten, die Alten nach oben. Im oberen Stockwerk herrscht eine grosse Hitze und da wir die Fenster nicht öffnen können, müssen wir wohl oder übel auf das Einschalten der Klimaanlage warten.
Unser Wagenbetreuer ist auserodentlich freundlich und erledigt die gesamten Administrativen arbeiten schnell und mit viel Humor vor allem bei unseren Tickets muss er lachen – so viele Billette (12 Stück!) für eine einzige Strecke hat er anscheinend noch nicht so häufig gesehen.

Kurz nachdem wir es uns in unseren Betten bequem gemacht haben klopft es heftig an unsere Abteiltüre. Dazu erschallt eine befehlsgewohnte Stimme “Polizia!” – Ok, ich klettere wieder aus meinem Schlafsack und öffne die Tür. Draussen steht ein schwer bewaffneter – ich tippe auf tschechischer – Polizist. Kaum habe ich die Tür geöffnet fragt er sehr freundlich nach den Pässen und nach einer kurzen Stichprobe wünscht er uns noch eine angenehme Weiterfahrt. Ich schliesse wieder die Tür und mache mich über die Leiter hinauf zu meinem Bett – ein weiterer Grenzübertritt ist gemeistert.

Am nächsten Morgen erreichen wir mit einer Stunde Verspätung Warschau. Wir haben unsere erste Nacht im Schlafwagen sehr gut überstanden.
Da wir bis zur Abfahrt des Nachtzuges nach Moskau ein paar Stunden Zeit haben und nicht mit unserem gesamten Gepäck durch Warschau spazieren wollen, machen wir uns noch im Bahnhof auf die Suche nach der Gepäckaufbewahrung. Schnell ist diese augrund der sehr guten Bezeichnungen im Warschauer Central Bahnhof auch gefunden. Wir stehen dann vor den Schliessfächern und versuchen herauszufinden, wie teuer ein solches denn so ist. Die Zahl 15 an dem von uns gewählten Fach erschüttert uns dann ein wenig, denn 15 Euro für ein Schliessfach – auch wenn es recht gross ist – erachten wir beide als etwas überrissen.
Aber was solls. Wir haben ja nicht einmal Münz und so machen wir uns auf die Suche nach einer Geldwechselmaschine und dort finden wir die Lösung unseres Irtums. So ein Schliessfach kostet nicht 15 Euro, sondern 15 Zloty und da ein Zloty gerade einmal knapp 30 Rappen Wert hat, können wir auch den Preis von umgerechnet 4.50Sfr. einverstanden.
Das Wichtigste aber was wir gelernt haben ist, dass man in Polen ncht mit Euro sondern mit Zloty bezahlt……;-)

Nach einem friedlichen und interessanten Kurz-Aufenthalt in Warschau sind wir bereits kurz nach 16:00 wieder am Bahnhof und besteigen unseren Nachtzug nach Moskau. Wir sind sehr positiv überrascht als wir in unser Liegewagenabteil kommen. Es handelt sich um einen niegel-nagel-neuen Liegewagen mit allem nur erdenklichen Komfort. Es gibt sogar eine Dusche im Wagen und in jedem Abteil hat es ein eigenes Lavabo mit fliessendem kalten und warmen Wasser, welches unter der Tischplatte verborgen ist. Die Betten sind grösser als die des Schlafwagens der letzen Nacht und wir schlafen hier nicht in Leinenschlafsäcken sondern nordisch unter einem Duvet.
Nur mit der Klimaanlage haben wir am Anfang zu kämpfen, aber auch die Technik bekommen wir nach ein paar Fehlversuchen in den Griff. Und schon bald geniessen wir unser Abteil sehr. Die Kinder gehen gerne auf die sehr saubere Zugstoilette und sogar das Zähneputzen wird nicht in Frage gestellt. Im geräumigen Abteil vergnügen sie sich mit Aufgaben machen, Musik hören, Tablet spielen und etwas später essen wir gemeinsam unser mitgebrachtes z’nacht.

Kurz nach Biala Podlaska erreichen wir die Grenze von Polen und Belarus (Weissrussland). Dem polnischen Grenzbeamten strecken wir stolz unsere vier Pässe so hin, dass sich das Transitvisa für Belarus auf der aufgeschlagenen Passseite befindet. Wir staunen nicht schlecht, als uns der Beamte ziemlich mürrisch auf polnisch anschnautzt. Als er merkt das wir nichts verstehen, wechselte er auf englisch und meint, dass wir hier immer noch in Polen seien und das Visum von Belarus ihn aus diesem Grund absolut nicht interessiert! Nach einem kurzen Blick in unsere Pässe gibt er uns diese wieder zurück und geht grusslos aus unserem Abteil.

Danach fahren wir ein paar Kilometer weiter zur Grenze von Belarus. Zuerst werden uns unsere Pässe von einem neuen Grenzbeamten abgenommen. Im Gegenzug erhalten wir vier kleine Zettel in die Hand gedrückt, welche wir ausfüllen müssen. Leider sind nicht nur die Zettel klein, sondern auch das was draufsteht und so müssen wir unsere Lesebrillen hervorholen um überhaupt lesen zu können was wir wo auszufüllen haben.
Wir wissen nicht wie es die anderen Reisenden machen, aber da wir die Pässe mit unseren Visa dem Grenzbeamten abgegeben haben, wissen wir weder unsere Passnummern noch die Visanummern für Belarus. Zum Glück haben wir alle Dokumente auch noch in elektronischer Form auf unserem Tablet dabei und so können wir diese Daten dort nachlesen und die Zettel in Mikroschrift ausfüllen.

Der Grenzbeamte aus Belarus, der schon durch sein Äusseres alle Vorurteile eines Menschen in einer solchen Position in uns wachruft (er ist untersetzt, korpulent, hat eine leicht schleimige Art und ein herablassendes, ungepflegtes Auftreten), kommt etwas später wieder in unser Abteil und gibt uns unsere Reisepässe zurück. Zudem sagt er schon ziemlich genervt und mit dem Finger auf seine Uhr deutend, dass wir die Zettelchen falsch ausgefüllt hätten. Es macht für uns zwar keinen Sinn was wir da reinschreiben sollen aber wir beugen uns der Staatsmacht und schreiben das was er will…
Leider zeigt es sich aber, dass der Grenzbeamte noch immer nicht zufrieden ist mit uns. Denn nun will er auch noch eine Kopie von unserer Krankenkassendeckung für Russland. Wir sagen ihm, dass wir diese in elektronischer Form haben und wir das Visum ohne diese Dokumente gar nicht bekommen hätten, aber er schüttelte nur mit dem Kupf und meinte, dass dies nicht reiche. Daraufhin senkt sich ein betretenes Schweigen in unser Abteil – doch plötzlich meint er – mit einer etwas leiseren Stimme – das 15 Euro auch ok seien….
Wir sind ziemlich baff, aber was wollen wir machen – mit unseren zwei Kleinen, die bereits in ihren Pyamas im Bett sitzen und ein wenig verstört unserem Treiben folgen. So klauben wir halt die 15 Euro aus unserem Portemonaie und können beobachten, wie sich unsere Geldscheine ihren Weg von unseren Portemonaise in die ausgebeulten Hosen dieses Grenzbeamten suchen. Und kaum haben sie den Weg in die Beinkleidern des Grenzbeamten gefunden, da ist der Beamte auch schon aus unserem Abteil verschwunden – so geht das…

Damit ist der Grenzübertritt nach Belarus aber noch nicht abgeschlossen. Denn nach der Zollkontrolle wird unser Zug lediglich ein paar hundert Meter weiter in eine grosse Werkstatt geschoben. Dort werden an allen Wagen die Drehgestelle unter Getösee von Hand auf die Spurbreite von Russland umgestellt.
Und als auch das gemacht ist, geht es nur wieder zurück in den Bahnhof und dort stehen wir dann. Erst etwa drei Stunden nachdem wir den Grenzbahanhof erreicht haben, verlassen wir ihn endlich wieder.

Den Rest dieser Fahrt können wir aber geniessen. Sie verläuft ohne weitere Probleme und erfreut stellen wir am Morgen beim Aufwachen fest, dass wir uns bereits in Russland befinden. Die Grenzkontrollen von Belarus sind anscheinend mit denen von Russland zusammengelegt und so machen auch die Angaben, welche wir auf die weissen Zettelchen schreiben mussten wieder einen Sinn.
Aber das wir diesem Grenzbeamten von Belarus 15Euro “geschmiert” haben nervt uns immer noch.

Ein Kommentar zu “Los geht’s – von Lohnstorf nach Moskau mit dem Zug

  1. Roland

    Wie wir lesen konten, sehr spannend und abwechslungsreich so ein Alltag auf reisen.
    Bei der Vorbereitung hatte es noch ein paar Lücken lieber Gert, das mit mit dem Komfort in einem Russischen Zug, war bei uns damals in den 80igern schon so. Von Moskau nach St. Petersburg, Daunen, Tee, Kaffee, Kuchen und alles was sonst noch so Freude macht.
    Sind die Russischen Bahnhöfe in der Nacht immer noch so hell ausgeleuchtet während der Nacht und das Militär und die Polizei so present, wie wir das erlebt hatten?

    Gruss Roland

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